Camino Inglés Geschichte

Der Camino Inglés, der stets im Schatten des bekannten Camino Francés, der Hauptroute der spanischen Jakobswege, stand, kann auf eine wechselhafte Geschichte zurückblicken. Als im 12. Jahrhundert der Jakobuskult die nordskandinavischen Länder und die britischen Inseln erreichte, begann damit auch in Nordeuropa die Pilgerfahrt nach Santiago.


Der früheste Beleg einer Pilgerreise auf dem Englischen Jakobsweg zum Grab des Heiligen Jakobus stammt aus dem Jahr 1147, als ein Heer nordeuropäischer Kreuzritter auf dem Weg ins Heilige Land in Galicien landete und nach Santiago pilgerte. Der isländische Mönch Nicolás Bergsson, der seine eigene Pilgerfahrt ins Heilige Land (1154 – 1159) beschreibt, ist der erste uns bekannte Pilger, der zum ersten Mal ausführlich die Seewege der Jakobuspilger nach Spanien und den heutigen Camino Inglés erwähnt. Seinen Schilderungen nach folgten die isländischen und skandinavischen Jakobuspilger ab Dänemark dem Jakobsweg entweder zu Fuß über Roncesvalles oder per Schiff nach Nordspanien.

Als während des 100-jährigen Krieges, der beinahe im gesamten 14. Jahrhundert und im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts zwischen Frankreich und England tobte, der Landweg über Frankreich nach Spanien versperrt war, kamen viele Jakobspilger aus dem nördlichen Europa über den Seeweg von England nach Spanien. Die Schiffe legten mit Erlaubnis der britischen Krone von den Häfen in London, Bristol, Southampton und Plymouth ab und landeten an der gesamten Küste Nordspaniens, unter anderem auch in den galicischen Städten A Coruña und Ferrol. Die Pilgerwege, die sich von diesen beiden Städten aus nach Santiago bildeten, werden als Camino Inglés bezeichnet. Der eine Zweig, der in der alten Handels- und Hafenstadt A Coruña beginnt, führt in 74 km nach Santiago, der andere, der in der Marinestadt Ferrol beginnt, führt in 118 km zum Grab des Heiligen Jakobus. Auf beiden Zweigen unterhielt der Heilige Geist Orden Pilgerhospize, die allen Pilgern, gleich welcher Herkunft, ob arm ob reich, offen standen. Ab dem 14. Jahrhundert öffnete der Franziskanerorden Hospitäler in Pontedeume und Betanzos unter dem Beistand des galicischen Adligen Fernán Pérez de Andrade, genannt „Der Gute“.

Dass der Englische Jakobsweg intensiv bis Mitte des 16. Jahrhundert als Pilgerweg genutzt wurde, zeigen Fundstücke, die man bei Ausgrabungen in der Kathedrale von Santiago entdeckt hat: Bruchstücke englischer Keramiken und englische Münzen aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Andere Belege sind Schenkungen britischer Pilger, wie z.B. das kostbare, tragbare Retabel aus Alabaster, auf dem das Leben des Santiago in fünf Szenen meisterhaft dargestellt ist und welches 1456 durch den Geistlichen John Goodyear, Rektor einer Pfarrgemeinde auf der Insel Wight, gestiftet wurde. Das Retabel wird heute im Museo Catedralicio aufbewahrt. Eine weitere Gabe ist das sogenannte „Perlenkreuz“, ein Kunstwerk aus Gold, Silber, Emaille, Perlen und Edelsteinen, das 1375-1400 in Paris hergestellt und von König Jakob IV von Schottland (1475-1513) gestiftet wurde. Ferner belegen Eintragungen von Todesfällen von Engländern, Skandinaviern, Deutschen, Franzosen und Italienern in Register kirchlicher Gemeinden auf dem Camino Inglés, dass der Englische Weg seinerzeit intensiv als Alternative zum Camino Francés genutzt wurde.

Als sich schließlich König Heinrich VIII. (1509-1547) aufgrund seiner Scheidung von seiner Frau Catalina von Aragón unwiderruflich mit dem Papst überwarf und dieser ihn aus der katholischen Kirche exkommunizierte, fanden die Pilgerfahrten der Engländer und Briten ein jähes Ende. Seitdem pilgern nur noch wenige auf dem Camino Inglés nach Santiago.